"Am 1. Mai wurden wir als Antifaschistische Aktion Nienburg zum
DGB-Fest in Nienburg eingeladen. Neben einem Infozelt und einer
Kinderaktion, bei der Kinder Steine bemalen konnten, nahm eine unserer
Aktivist*innen an der Podiumsdiskussiom zum Thema „Nienburg als neuer
Ort für Rechte“ teil. Moderiert von Dr. Bettina Döhring vom
Landesdemokratiezentrum nahmen auch Bürgermeister Henning Onkes und
Jürgen Uebel von der Initiative „Bad Nenndorf ist bunt“ an der
Diskussion teil.
Im Verlauf des Tages konnten wir auch mit einem Redebeitrag auf der
Maikundgebung explizit auf die Notwendigkeit permanenter
antikapitalistischer Arbeit in einem konsequenten Antifaschismus
eingehen und so eine Brücke schlagen zwischen dem Thema des 1. Mai und
dem Thema der Podiumsdiskussion.
Nach vielen Enttäuschungen, die wir in den letzten Monaten im Umgang
der Stadt mit der rechten Szene erlebt haben, freuten wir uns über diese
Möglichkeit, dem Bürgermeister offen sagen zu können, wie wir sein
Handeln einschätzen und auch unsere Vorschläge für eine zukünftige
Zusammenarbeit zu unterbreiten. Nachdem wir, als Antifaschistische
Aktion Nienburg, seit dem Jahr 2014 auf ein drohendes Problem mit
rechtsextremistischen Strukturen im Landkreis aufmerksam machten,
passierte auf Seiten von Stadt, Verwaltung und Polizei nur wenig.
Bereits auf dem Altstadtfest 2015 gab es einen Übergriff von
Rechtsextremen auf linke Aktivist*innen. Sie wurden verfolgt und
bedroht, bis sie sich in ein Zelt der Rettungssanitäter*innen flüchten
konnten. Hier gab es von Seiten der Polizei kein Verständnis. Dieser
Abend endete für Linke mit einem Platzverweis, Rechte jedoch durften
sich weiterhin frei durch die Stadt bewegen. Im selben Jahr bedrohte der
Neonazi C. Siedler einen Aktivisten im Stadtgebiet. Bei einem Anruf bei
der Polizei wurde dem Aktivisten vorgeschlagen, doch bitte zur Wache zu
kommen, um eine Anzeige zu erstatten. Die gegenwärtige Bedrohung wurde
außer Acht gelassen. Solche Vorkommnisse häuften sich in den letzten
Jahren. Neonazis passten Aktivist*innen am Bahnhof ab, bei der Arbeit
oder in der Stadt. Eine dauerhafte Bedrohungssituation ist das Bewegen
in der Stadt Nienburg für jede*n von uns, deren*dessen Gesicht den
Nationalsozialist*innen bekannt ist.
Im November letzten Jahres meldete der Freundeskreis
Thürigen/Niedersachsen eine Demonstration durch Nienburg an. Die
Gegenproteste waren groß – Während in der Innenstadt viele Bürger*innen
bei der Veranstaltung „Vielfalt statt Einfalt“ ein Zeichen gegen
Neonazis setzten, trafen sich am Bahnhof 300 autonome Aktivist*innen zur
Demonstration gegen den Freundeskreis. Die eigentliche, angemeldete
Route, die am Kundgebungsort der zivilgesellschaftlichen Organisation
WABE enden sollte, wurde uns jedoch verwehrt. Die Demonstration lief
ihre genehmigten 500m und löste sich dann am Rand der Innenstadt
auf.Teile der Neonaziroute konnten so blockiert werden, dass diese ein
wenig verlegt wurde. Durch die gesamte Innenstadt konnten die rund 40
Rechtsextremist*innen trotzdem laufen. Unter ihnen zwischen 5 und 10
Neonazis aus dem Stadtgebiet Nienburg.
Der nächste Aufmarsch Rechter in Nienburg am 28.01.2017: Die Partei „Die
Rechte“ hatte einen Fackelmarsch durch Nienburg angemeldet – „Gegen
Linke Gewalt.“ Während wir und andere zivilgesellschaftliche Bündnisse
und Gruppen versuchten, einen Termin für diese Demonstration in
Erfahrung zu bringen – Die Nazis mobilisierten nicht öffentlich – wurde
dies von Seiten der Stadt mit allen Mitteln verhindert. Am Ende konnten
über 30 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet einen Tag nach dem
Holocaust-Gedenktag mit Fackeln durch Nienburg spazieren. Es wurde eine
Anzeige wegen Verherrlichung des Nationalsozialismus gegen einen der
Redner gestellt. Nun zur Podiumsdiskussion: Bürgermeister Onkes hat eine
Problematik mit der rechten Szene in Nienburg erkannt und das Handeln
der Stadt und der Polizei scheint intern reflektiert zu werden.
Laut seiner Aussage positionieren sich sowohl Stadt und auch Polizei
gegen Neonazis. Das Handeln im Januar, das Verschweigen eines
Aufmarsches von Neonazis, scheint jedoch noch nicht als klarer Fehler
erkannt worden zu sein. Stattdessen beruft sich Herr Onkes immer wieder
auf das Neutralitätsgebot, dem er unterliegt.
Hierzu: Das Neutralitätsgebot ist für einen Bürgermeister, der sich
gegen eine rechte Szene positionieren will und sich immer wieder
Naziaufmärschen gegenübersieht, wahrscheinlich ein anstrengendes
Konzept. Gleichzeitig wurde dies aber nicht eingehalten: Während im
Januar eine große Anzahl an Rechtsextremen, darunter viele vorbestrafte
Gewalttäter, durch Nienburg marschierten, war kaum Gegenprotest möglich.
Nur durch aufmerksame Antifaschist*innen entdeckten wir die ungefähr 30
Wannen, die gegen Abend den Bahnhof abriegelten und nur durch einen
Vorwand erfuhren wir von der Demonstration. So konnten lediglich 20
Menschen spontan eine Gegenkundgebung anmelden, während für den Morgen
ungefähr 100 Menschen mobilisiert werden konnten. Ein zeitgleicher
Protest hätte ein klares Zeichen setzen können – Dies war nicht der
Fall. Unsere Seite, die sich für Menschenrechte, für Demokratie, für
Toleranz und Vielfalt ausspricht, war anscheinend nicht vom
Neutralitätsgebot geschützt – Auf jeden Fall nicht für die
Stadtverwaltung und die Polizei. Unser Versammlungsrecht wurde
beschnitten. Auch auf Menschen, die in das Feindbild der Rechten fallen,
wurde nicht geachtet. Diesen Menschen wurde die Möglichkeit genommen,
sich auf die Neonazis vorzubereiten, einzustellen oder sich
zurückzuziehen, um aus der Gefahrenzone zu gelangen. Ein solcher Umgang
mit Menschen, die grundlos in Hassfantasien der Rechten auftauchen, ist,
vor allem im Hinblick auf die Geschichte, eine Farce.
Ob uns beim nächsten Naziaufmarsch, der vom Freundeskreis
Thürningen/Niedersachsen – Sektion Nienburg bereits (wieder ohne Datum)
angekündigt wurde, die Möglichkeit einer organisierten Gegenbewegung
gelassen wird, bleibt offen – Wir sehen dem ganzen skeptisch, aber
hoffnungsvoll entgegen.
Einen guten Blick hat der Bürgermeister ganz klar darauf, was gegen
Nazis getan werden kann: Die Zivilgesellschaft muss sich positionieren,
sie muss ein Zeichen gegen Rassismus setzen. Hier sind wir uns einig.
Wir brauchen breitere Bündnisse, wir brauchen Zusammenhalt. Wie Jürgen
Uebel sagte: Die Nazis sind froh, wenn wir uns zerstreiten. Das sollten
wir ihnen nicht lassen. Hier jedoch die Frage: Wie soll sich eine
Zivilgesellschaft gegen Nazis stellen, von denen sie nichts weiß? Es
braucht eine klare Positionen städtischer Akteur*innen. Wenn ein
Bürgermeister, die Presse, die Stadtverwaltung und die Polizei nicht
klar darstellen, dass es ein Problem gibt und dass ganz Nienburg dazu
angehalten ist, sich zu positionieren, fühlt sich die Bevölkerung auch
nicht dazu berufen. Solange ein Problem nicht offen genannt wird,
existiert es für viele Menschen nicht. Solange Politik und Presse die
Naziaufmärsche verharmlosen, wird sich kaum jemand Gedanken darüber
machen, etwas dagegen zu tun. Auch hier hatte Jürgen Uebel einen Rat:
Für den Ruf der Stadt ist es viel unangenehmer, wenn Naziaufmärsche
unkommentiert angenommen werden. Ein breites Bündnis und eine
Verwaltung, die sich gegen Nazis stellen, sind um einiges attraktiver.
Leider haben wir auch nach der Diskussion nicht das Gefühl, dass eine
Sensibilität für linke Aktivist*innen, die von rechter Gewalt betroffen
sind, bei Stadt, Verwaltung und Polizei vorangebracht wird. Auf die
Erzählungen von Beispielen, wie wir von der Polizei nicht ernst genommen
wurden, ging Onkes ein. Er nannte diese „Einzelfälle, die schon mal
passieren könnten“. Was nahezu eine Beleidigung ist, wenn man
einbezieht, dass er in seinem Statement zuvor, für dialogische Arbeit
plädierte, die uns voranbringen könne. So nur leider nicht. Immer wieder
wurde erwähnt, dass die Polizist*innen ja nur Arbeitnehmer und
Arbeitnehmer*innen seien, die unter ihrer Panzerung auch Menschen sind.
Wir stimmen Ihnen zu, unter der Panzerung sind Menschen. Wir sind jedoch
auch Menschen. Die Demonstrant*innen auf unseren Demonstrationen, die
von der (städtischen) SPD gern als „schwarz gekleidete, gewaltbereite
Zugereiste“ beleidigt werden, sind Menschen.
Hier möchten wir noch einmal klarstellen: Wir distanzieren uns nicht von
Aktivist*innen, die sich solidarisch zeigen und einen Weg auf sich
nehmen, um uns gegen die Nazis zu unterstützen. Hinter
antifaschistischen Gruppen stecken meist junge Menschen, die sich seit
frühen Jahren mit Politik beschäftigen. Es raubt einen großen Teil
unserer Freizeit; viele Antifaschist*innen können sich, wie wir, nicht
überall frei und unbeschwert bewegen. Wir alle leben mit dem Gedanken,
dass wir gefährliche Feind*innen haben, die vor nichts zurückschrecken.
Viele haben Angst davor, dass ihr Gesicht in Datenbanken der Nazis
auftaucht – Denn sobald dies geschehen ist, ist man immer mindestens ein
wenig paranoider. Es geht im Antifaschismus lange nicht ausschließlich
um Militanz. Ein großer Teil unserer Arbeit ist theoretisch.
Antifaschistische Gruppen sitzen oft und lange zusammen, diskutieren,
welches Vorgehen in welcher Situation angebracht ist, beschäftigten sich
mit Gesellschaftstheorien, mit aktuellen Nachrichten, mit Recherche.
Wir kämpfen für Menschenrechte, für Solidarität, für Gerechtigkeit. Wir
kritisieren das Ganze, immer wieder.Polizist*innen sind Menschen, die
bei Dienstantritt ihre Meinung, ihre Individualität und ihre Empathie
ablegen. Für sie, wie für viele Menschen, ist „Die Antifa“ eine
gewalttätige, schwarze Masse. Wenn wir Polizist*innen als individuelle
Menschen annehmen sollen, während sie in Panzerung, Vermummung und Helm
bewaffnet vor uns stehen – Dann muss dringend etwas im Umgang mit linken
Protesten geschehen. Herr Onkes, Sie sprachen immer wieder davon, dass
wir in einen Dialog treten müssen. Wir sind dazu bereit. Wir engagieren
uns in verschiedenen Bündnissen, wir sind im runden Tisch gegen
Rassismus vertreten. Wir freuen uns, wenn die Stadtverwaltung eine neue
Rolle im Kampf gegen rechte Strukturen einnimmt, wenn wir mit der
Unterstützung von Stadt, Politik und gemeinsam mit der Zivilgesellschaft
gegen Neonazis kämpfen. Wir müssen nicht die selbe Aktionsform haben –
Jedoch müssen wir miteinander sprechen, damit sich Naziaufmärsche in
Nienburg nicht etablieren.
Damit Nienburg nicht braun wird. Damit Nienburg bunt und weltoffen sein
kann, Kulturfeste, wie das gestrige, ohne Angst stattfinden können, sich
jede Nationalität zuhause fühlt und wir Solidarität leben." - Antifaschistische Aktion Nienburg